Jüdischkeit ist mehr als nur Religion, weiß Julia Rabinovych. Sie ist Jugendbetreuerin im jüdischen Jugendzentrum Emuna. Wir haben Julia bei der Schnitzeljagd in der Gemeinde getroffen und mit ihr über die Arbeit mit Kindern, Antisemitismus und die jüdische Version der Eurovision gesprochen.
Julia Rabinovych und ihre Gruppen haben es eilig. Sie wollen die ersten bei der Schnitzeljagd des jüdischen Jugendzentrums Emuna sein. Julia macht schnell ein Selfie von ihr und den drei Jungs vor der Reinoldikirche, bevor sie sich zum nächsten Punkt, dem Adlerturm, aufmachen. In der Hand hält sie Zettel, auf denen Texte über berühmte Orte in Dortmund gedruckt sind – sie sollen bei der Beantwortung der Fragen helfen.
Ihnen kommt eine Gruppe von vier Mädchen entgegen, sie machen genauso wie Julias Gruppe bei der Schnitzeljagd mit. Doch einem der Jungen ist die eigene Gruppe nicht schnell genug. „Die jüdischen Eltern rennen alle, die werden gewinnen.“, ruft Tahel besorgt. Also ziehen die vier ihr Tempo an und joggen zum nächsten Punkt. Julia ist Madricha, so werden die Betreuenden im Jugendzentrum genannt, und passt heute auf die drei Kinder bei der Aktion auf.
Die 18-Jährige ist seit vier Jahren Teil der Jugendzentrums in Dortmund und arbeitet bei Emuna mit. Durch einen Freund ist sie zu ihrem Ehrenamt gekommen. Ihre Familie war nie sehr religiös, weshalb sie relativ spät angefangen habe, sich mit ihrer Jüdischkeit auseinanderzusetzen, erzählt sie. „Ich dachte, bis ich 10 Jahre alt war, dass ich katholisch sei.“, sagt Julia lachend.
Sie besuchte einen katholischen Kindergarten und die Lieder und die Musik in der Kirche hätten sie als Kind sehr begeistert. „Da meine Eltern aus der Ukraine kommen, gehen sie anders mit dem Jüdisch sein um.“ Bei vielen Familien aus der ehemaligen Sowjetunion würde die eigene Abstammung selten erwähnt werden. Ihre Mutter war am Anfang skeptisch, da Julia viel Zeit in ihr Ehrenamt gesteckt hat. Außerdem hat sie sich Sorgen um ihre Tochter gemacht, da Julia angefangen hat, ihre Jüdischkeit offen zu kommunizieren.
Oft fragen sie Menschen nach ihrer Nationalität. Julia ist in Deutschland geboren, spricht Zuhause mit ihrer ukrainischen Familie russisch. „Für mich ist es schwierig mit einem Wort zu beschreiben, woher ich komme. Ich bin Jüdin und sehe es als meine Nationalität an.“, erzählt sie. Auch als nicht streng religiöse Person, fühlt sie sich als Teil der jüdischen Gemeinde. „Jüdisch sein ist einfach mehr als nur die Religion.“, weiß die 18-Jährige.
An ihrer Arbeit bei Emuna schätzt sie besonders die Zeit mit den jüngeren Kindern. Sie könne ihnen zwar nicht so viel über das Judentum beibringen, wie sie gern selbst wollte, versucht sich aber immer kreativ einzubringen. „Ich merke immer wieder, wie wichtig es ist, Kindern einen Ort zu geben, an dem sie merken, dass sie wertgeschätzt werden.“ Die ehrenamtliche Arbeit mit den Kindern gebe Julia sehr viel Energie und bereitet ihr Freude.
Das Highlight ihrer bisherigen Zeit als Madricha war ihre erste Fahrt zur Jewrovision. Angelehnt an den Eurovision, treffen sich alle jüdischen Jugendzentren in Deutschland einmal im Jahr, um sich auszutauschen. Jede Gruppe bereitet eine Performance vor. Es wird gesungen, gerappt oder getanzt. „Für mich war es sehr besonders da zu sein und so viele jüdische Menschen zu treffen.“ An den Shabbat mit den anderen Jugendlichen erinnert sich Julia besonders gern. „Es war schön, den Tag mit so vielen Menschen zu verbringen, die das alles auch sehr ernst nahmen. Keiner war am Handy und alle haben sich schick angezogen für den Shabbat.“ Die Jugendlichen, die sich treffen, haben oft dieselben Interessen und tauschen sich viel über ihre Jüdischkeit aus.
Anders sah es in letzter Zeit mit Julias Umfeld außerhalb der jüdischen Gemeinde aus. Besonders in den vorherigen Wochen, als vermehrt über den Nah-Ost Konflikt und Antisemitismus in Deutschland berichtet wurde, merkte sie, dass sie viele Menschen darauf angesprochen haben. Die Zeit sei definitiv anstrengend gewesen und viele Leute in ihrem Umfeld haben sich aus den sozialen Medien zurückgezogen, erzählt die Studentin. „Jedes Mal, wenn ich auf Instagram gegangen bin, dachte ich: Bitte lass keinen von meinen Freunden etwas antisemitisches gepostet haben.“ Sie hat viele Diskussionen geführt, sei aber aktiv nur auf Leute zugegangen, die ihrer Ansicht nach falsche Informationen verbreiten.
Auch bei anderen Jugendlichen aus der Gemeinde ist ihr Ursprung immer wieder Gesprächsthema. Lilie hat schon oft erlebt, dass Leute überrascht waren, dass sie Jüdin ist. „Du siehst ja gar nicht aus wie eine Jüdin, sagen viele. Aber dann frag ich mich ja, wie sollen Juden denn auch aussehen?“, erzählt sie. Das Jugendzentrum hilft ihr dabei, Gleichgesinnte zu finden. Zusammen mit ihren Freundinnen verbringt sie gerne Zeit in der Gemeinde. „Die Leute hier sind schnell zu meiner zweiten Familie geworden.“, sagt Lilie.
Wie in einigen Jugendgruppen gehen viele Ältere, wenn sie wegziehen oder ein zeitintensives Studium beginnen. Auch Julia hatte überlegt als Madricha aufzuhören. „Ich habe mich dann doch entschieden zu bleiben und die nächste Generation anzulernen.“ Lilie und ihre Freundinnen gehören zu denen, die bald Jugendbetreuende werden können. Diesen will Julia im nächsten Jahr zeigen, wie es ist, die Kinder bei Emuna zu betreuen.
Auch Corona machte es der Gemeinde nicht einfach sich regelmäßig zu treffen. Während der Pandemie waren die Treffen am Sonntag in der Gemeinde nicht möglich, doch die Jugendbetreuenden trafen sich über Zoom, organisierten einen Podcast und filmten kleine Videos für Instagram und TikTok. „Wir alle fanden die Idee eigene Kanäle zu erstellen cool und sind auch so sehr aktiv auf Instagram.“, erzählt Julia. Ein anderer wichtiger Grund für die Accounts, sei der Austausch mit den anderen Jugendzentren in Deutschland. Da auch die Jewrovision ausfallen musste, versuchen die Jugendlichen so den Kontakt aufrecht zu erhalten.
Das Ehrenamt in der Gemeinde ist Julia sehr wichtig. „Für mich ist meine Arbeit hier eine Leidenschaft. Man bekommt einfach so viel an positiven Gefühlen zurück von den Kindern. Das ist sehr schön.“ Sie wünscht sich, dass sich in Dortmund die Jugendzentren mehr vernetzen. Ihr sei klar, dass es auch andere Gemeinden und Zentren gäbe, „aber in meinem Kopf war Emuna lang das Einzige was existierte.“ Im Jugendzentrum stehe oft die Musik im Fokus, es wird immer viel getanzt bei Emuna. „Wenn ich an die Gemeinde denke und diese Musik höre, dann wünsche ich mir, dass sich auch ganz viele nicht-jüdische Menschen mit uns treffen. Dann können wir alle gemeinsam tanzen.“
Auch an diesem Tag läuft nach der Schnitzeljagd Musik im Hintergrund. Die Familien lassen den Tag bei einem gemeinsamen Essen ausklingen. Benji, Tahel und Maxim konnten zusammen mit Julia keinen der ersten drei Plätze belegen. Spaß hatten sie trotzdem bei der gemeinsamen Tour durch die Stadt. „Ich werde trotzdem bei jeder Schnitzeljagd dabei sein.“ verspricht der achtjährige Maxim und Benji stimmt nickend zu.
Das Jugendzentrum Emuna findet ihr hier: https://jg-dortmund.de/de/jugendzentrum
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