Das verstaubte Geschichtsbuch hat ihr nicht gereicht – Joyce engagiert sich seit sieben Jahren bei den Botschafter*innen der Erinnerung. Mit uns spricht sie darüber, warum Schindlers Liste in der Schule nicht reicht und wie junge Leute die Erinnerungskultur am Leben erhalten können.
Joyce Schröder hört konzentriert zu, während der ältere Mann vor der Gruppe seinen Vortrag hält. Er ist Pole und spricht von seiner Zeit im Konzentrationslager. Joyce, die wegen ihrer Mutter versteht was der Mann sagt, ist ergriffen von seinen Worten. Sie ist zusammen mit ihren Mitschüler*innen nach Auschwitz gereist, um sich über die Geschehnisse des Nationalsozialismus zu informieren. Die Botschafter*innen der Erinnerung organisieren in den Dortmunder Schulen die Bildungsreise.
Langsam kommt der Mann, der zu den Jugendlichen spricht, zum Ende seines Vortrags. Kurz vor Schluss, steht der Zeitzeuge aufeinmal auf und richtet seinen Blick auf die Gruppe. „Er hat uns auf einmal direkt angeschaut und auf Deutsch zu uns gesprochen. Und das hat mich sehr gepackt. Es war einfach ein komisches Gefühl und man hat es einfach nicht erwartet.“, erzählt sie von der Reise im Jahr 2014. Auch heute erinnert sich die 23-Jährige oft an den Moment zurück: „Da wusste ich einfach, dass die Erinnerungsarbeit sehr wichtig ist.“
Frühe Berührungspunkte mit der deutschen Geschichte
Seit der Auschwitz-Fahrt engagiert sich Joyce bei den Botschafter*innen der Erinnerung. Diese sind Teil der Arbeitsstelle „Zukunft braucht Erinnerung“ des Jugendrings in Dortmund. Etwa 15 aktive Ehrenamtliche erstellen Biografien, besuchen historisch relevante Gedenkorte und organisieren Projekte in Schulen und mit der Stadt.
Joyce selbst kam durch ihre Familie sehr früh mit dem Holocaust und dem Nationalsozialismus in Verbindung. Von Kindesalter an besucht sie regelmäßig die polnische Kleinstadt Zamość, aus der ihre Mutter stammt. In der Stadt, die früher nach Heinrich Himmler benannt war, befindet sich ein ehemaliges Durchgangslager. „Man sieht ganz häufig auf den Stolpersteinen, dass die Menschen dort ermordet worden sind und das gehört irgendwie dazu. Dieses Durchgangslager ist direkt neben dem Baggersee, in dem ich schon als Kind schwimmen war.“, erzählt Joyce.
Auch junge Menschen müssen sich informieren
In ihrer Familie sprechen sie oft über die Geschehnisse von damals und Joyce beginnt sich in ihrer Freizeit zu informieren. „Ich habe damals Schindlers Liste schon vor dem Geschichtsunterricht gesehen.“, erzählt sie. Für viele sei der Holocaust Vergangenheit und sie wollen ihn abhaken. Die Entwicklungen der letzten Jahre besorge die angehende Kinderkrankenpflegerin. „Der Anstieg an Rechtspopulismus in Europa zum Beispiel, zeigt doch, dass es nicht reicht, einmal Schindlers Liste in der Schule geschaut zu haben.“ Ihr ist es wichtig, dass auch junge Menschen erkennen, dass es ihre Aufgabe ist sich zu informieren und zu erinnern.
Ein großes Projekt in diesem Jahr ist die gestaltete Stadtbahn zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am achten Mai. „Wir haben die Bahn bewusst sehr bunt gestaltet und auffällig beklebt, da sie sehr viel unterwegs ist und Menschen auf unsere Arbeit aufmerksam macht.“, erzählt Lara Schimmeregger. Die 26-Jährige ist seit der Gründung der Botschafter*innen im Jahr 2011 teil der Gruppe. Für sie ist besonders wichtig, dass die Ehrenamtlichen nicht den Spaß an der Arbeit verlieren – auch wenn es um ernste Themen geht.
Besonders jetzt sieht Lara einen hohen Bedarf an Erinnerungsarbeit, da viele Zeitzeugen sehr alt seien. „Wir sind wahrscheinlich die letzte Generation, die die Geschichten aufbewahren und weitergeben kann.“, betont die Physiotherapeutin.
Neben der lokalen Spurensuche nehmen die Botschafter*innen auch an Austausch-Projekten mit Ehrenamtlichen aus dem Ausland teil. So arbeiteten sie unter anderem mit Jugendlichen aus Frankreich, den Niederlanden oder Italien zusammen. Für Botschafter*in Joyce Schröder war besonders die Reise nach Italien ein Highlight. Neben Vorträgen von Zeitzeugen und dem Austausch über die Erinnerungskultur hat ihr das Miteinander in der Gruppe gefallen. „Wir waren nur zu viert aus Dortmund dabei, aber wir haben so viel erlebt. Das hat uns zusammengeschweißt.“, erinnert sie sich.
Die junge Perspektive fehlt
Aus dem Austausch mit ausländischen Ehrenamtlichen hat sie mitgenommen, wie vielfältig Erinnerungskultur sein kann. Für Joyce muss viel deutlicher nach außen getragen werden, wie vielschichtig man sich mit dem Thema beschäftigen kann. Außerdem hofft sie, dass mehr Menschen verstehen, warum man sich auch heute weiter mit der Geschichte beschäftigen muss. „Erinnerung ist nicht nur auf alte Zeiten zurückblicken, sondern man muss daraus lernen und für heute Schlüsse daraus ziehen.“, so die 23-Jährige.
Auch Jannis Gustke, der mit Joyce zusammen bei den Boschafter*innen arbeitet, betont wie wichtig es ist, die junge Generation miteinzubeziehen: „Es ist wichtig die jungen Menschen als Teil der Zivilgesellschaft an der Gedenkkultur teilhaben zu lassen. Da fehlt oft eine junge Perspektive.“
Der 28-Jährige interessiert sich besonders für die Internationale Erinnerungsarbeit, er ist jedoch auch in Dortmund sehr aktiv. Zusammen mit Joyce moderierte er zum Beispiel die Karfreitags-Gedenkfeier in der Bittermark 2019. Die Beiden sind auch im Vorstand des Fördervereins Gedenkstätte Steinwache. Die Zusammenarbeit mit Joyce schätzt er sehr. „Sie sorgt immer für gute Stimmung, auch wenn man mal nicht so gut gelaunt ist.“
Neben der Arbeit bei den Botschafter*innen ist Joyce auch bei der Cradle to Cradle Regionalgruppe Dortmund-Bochum aktiv. Die Mitglieder beschäftigen sich mit Stoffkreisläufen und einem umweltbewussteren Umgang mit Ressourcen. Die Gruppe besteht aus älteren und jüngeren Ehrenamtlichen, die gemeinsam neue Möglichkeiten der Müllverwertung erarbeiten. „Ehrenamtlich aktiv zu sein ist für mich einfach unglaublich bereichernd.“, so Joyce.
Früher ging es ihr mehr um die Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Jugendlichen. „Besonders bei den Botschafter*innen wo man auch emotional involviert ist, hat es sich gut angefühlt auf eine Weise nützlich zu sein.“ Mittlerweile gehört es zu ihrem Alltag dazu sich für Projekte einzusetzen, die sie interessieren.
Am Ehrenamt in Dortmund schätzt sie die kulturelle Vielfalt in den Gruppen. „Es ist immer schwierig alle Menschen zusammenzubringen, doch in Dortmund klappt es bisher sehr gut. So entstehen immer spannende Austausche.“, findet Joyce.
Da das Angebot so weitreichend und bunt ist, hofft die 23-Jährige, dass die ehrenamtlichen Gruppen ihre Präsenz weiter ausbauen. „Ohne die Auschwitz-Fahrt in der Schule, wäre ich nie zu den Botschafter*innen gekommen. Es muss offener kommuniziert werden, was für Angebote es für junge Menschen gibt.“, fordert sie.
„Ich kann immer nur betonen, dass es etwas Schönes ist sich für eine Sache einzusetzen. Auch wenn viele zum Beispiel noch nicht wählen dürfen, gibt es im Ehrenamt Möglichkeiten aktiv etwas zu verändern.“
Joyce über ihre Arbeit.
Bisher wirke das Ehrenamt noch häufig wie ein Privileg. Auch wenn sich die Sichtweise durch die Arbeit mit Schulen ändert, sei es leider meistens der Fall, dass z.B. Student*innen, Menschen mit Abi oder einfach aus „gebildetem“ Elternhaus, die eher in Ehrenämtern tätig sind, so Joyce. „Dabei wäre so eine Arbeit gerade für Jugendliche aus, ich sage einfach mal bildungsfernen Schichten besonders wichtig. Insbesondere für diese ist eine ausgebaute Präsenz der Dortmunder Jugendarbeit so wichtig.”
Joyce kann sich vorstellen dass das Ehrenamt durch Plakataktionen oder Werbung in Kooperation mit der Stadt sichtbarer gemacht werden kann. Sie hofft, dass dadurch mehr junge Menschen auf das Ehrenamt aufmerksam werden und sich einbringen. „Ich kann immer nur betonen, dass es etwas Schönes ist sich für eine Sache einzusetzen. Auch wenn viele zum Beispiel noch nicht wählen dürfen, gibt es im Ehrenamt Möglichkeiten aktiv etwas zu verändern.“
Mehr über die Arbeit bei den Botschafter*innen erfahrt ihr hier: https://weg-der-erinnerung.de/
Zum Gesamtprojekt rund um den 8. Mai: https://www.demokratie-do.de/
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